Abschied von bvse-Referent Dr. Thomas Probst. Im Interview spricht der langjährige Branchenexperte über Meilensteine, Menschen und Motivation – und darüber, wie das Leben nach Polymerketten, Kampf für das Kunststoffrecycling, Fachkonferenzen und Lehrtätigkeit weitergeht.
Über mehr als zwei Jahrzehnte war Dr. Thomas Probst als Fachreferent beim bvse tätig – und hat in dieser Zeit nicht nur das Kunststoffrecycling und die Kreislaufwirtschaft national wie international entscheidend mitgeprägt, sondern sich ebenso mit großem Engagement für die Fachverbände Sonderabfallwirtschaft sowie Recycling von Reifen und Gummi eingesetzt. Jetzt geht der Verbandsprofi in seinen wohlverdienten und selbstgewählten Ruhestand.
Nach Studium, Promotion und Habilitation in Chemie an der TU München hast Du Dich früh umwelt- und abfallrelevanten Fragestellungen zugewandt. Im Jahr 2002 bist Du zum bvse gewechselt. „Vom Reagenzglas zum Recyclinghof“ – was war der Auslöser, der Dich in Richtung Kreislaufwirtschaft geführt hat?
In der Zeit meiner Habilitation an der TU München war ich u.a. auch eng in mehrere Forschungsvorhaben aus BayFORREST eingebunden. Das waren Vorhaben, die in Forschung und Entwicklung (F&E) die gesamte Abfallwirtschaft in Bayern neu aufgestellt haben. Und daher war der Sprung nach Bonn zum bvse e.V. naheliegend. Vermeidung, Wertstoffgewinnung und Reststoffverwertung waren bei BayFORREST zentrale Themen, die beim bvse von den Mitgliedsunternehmen in die Praxis umgesetzt wurden. Der Aufbruch zu neuen Techniken und Technologien findet m.E. v.a. im Mittelstand statt.
Kunststoffrecycling hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark weiterentwickelt. Welche Veränderungen waren aus Deiner Sicht besonders entscheidend – technisch, politisch, gesellschaftlich?
Das Kunststoffrecycling in seinen vielen Facetten hat sich sehr positiv entwickelt. Neben dem Recycling von Kunststoffen aus LVP – Leichtverpackungen, finden jetzt auch andere Stoffströme hierbei endlich ihre Beachtung. Inzwischen gibt es nicht nur generelle Quotenvorgaben sondern auch verbindliche Vorgaben zum Rezyklateinsatz in den Bereichen Verpackungen, Elektro und Elektronik, sowie Altfahrzeugen. Bei PET haben die Rezyklateinsatzquoten eine überaus positive Wirkung. Und neben den Entwicklungen beim Recycling der Standardkunststoffe finden zunehmend auch Technische Kunststoffe, Elastomere und Schaumkunststoffe ihre Beachtung.
Das Kunststoffrecycling wird inzwischen als Partner der gesamten Kunststoffindustrie verstanden. Hersteller und Verarbeiter beziehen das Recycling als Teil der Kunststoffkette in ihre Tätigkeiten gleichberechtigt mit ein. Inzwischen wird verstanden und gelebt, dass das Kunststoffrecycling die Rohstoffversorgung als weiteres Standbein und überdies auch noch nachhaltig absichert. Das ist ein sehr schöner Erfolg.
Neben dem Kunststoffrecyclingbereich hast du in den vergangenen Jahren auch den Fachverband Sonderabfallwirtschaft - ebenso wie den Fachverband Recycling von Reifen und Gummi – im bvse intensiv betreut. Wo siehst Du in diesen beiden Bereichen aktuell die größten Dynamiken und Herausforderungen?
Zur Entsorgung von Sonderabfall: Leider ist bisher immer noch kaum verstanden, dass auch die gefährlichen Abfälle ein großes, positives Stoffpotential haben, das genutzt werden kann. Bei einigen Stoffströmen aus diesen Bereichen wird das Stoffpotential schon gut genutzt, das sind v.a. Altöl sowie Elektro und Elektronik. Bei dem derzeit noch gültigen Abfallkatalog mit 842 Einträgen gibt es immerhin 408 Schlüssel für gefährliche Abfälle. Diese Einträge stellen ein großes Stoffpotential dar, das von unseren Unternehmen erkannt und nach der Entfrachtung von Störstoffen für die Kreislaufwirtschaft genutzt wird. Die Sonderabfallentsorgung ist hoch spezialisiert, weist neu Analgen auf und ist innovativ.
Zum Recycling von Reifen und Gummi: Hier haben wir ein Stoffpotential von etwa 550.000 To Reifen und von etwa 600.000 To Gummiabfälle. Das Reifenrecycling ist in allen Stufen der Abfallhierarchie erfolgreich tätig. Unseren Recyclern fehlen leider oft die hochwertigen Reifen für die Aufbereitung, die häufig in das Ausland verkauft werden. Eine erfolgreiche Anwendung, die wir im bvse ausbauen wollen, ist die Runderneuerung. Runderneurte Reifen bei Lkw sind taylor-made, die neben den Qualitäten von hochwertigen Neureifen bestehen können. Diese Potential wollen wir bei unseren Mitgliedsunternehmen noch weiter ausbauen.
Auf Deinem Weg hast Du mit vielen Fachleuten, Unternehmer:innen und Kolleg:innen zusammengearbeitet. Welche Menschen waren für Dich wichtige Wegbegleiter – und was hast Du von ihnen mitgenommen?
Bei drei Fachverbänden, einem Ausschuss und mehreren Arbeitsgruppen kommt man mit sehr, sehr vielen und dabei sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten in Fachsitzungen, Veranstaltungen, Öffentlichkeit, Politik und Exekutive national und europaweit zusammen – das ist großartig. Auch in den bvse-Gremien finden beeindruckende Begegnungen statt. Darüber hinaus sind hier die Kollegen, das ist das bvse-Team, zu nennen. Ohne dessen Rückhalt in der Geschäftsstelle geht es nicht – ein großes Dankeschön. Es gibt so viele positive Wegbegleiter, da wäre es unfair, einzelne Namen zu nennen.
Und welche Stationen, Events oder Projekte bleiben Dir persönlich besonders in Erinnerung?
Höhepunkte waren meine Delegationsreisen in die VR China und nach Taiwan. Darüber hinaus ist die Teilnahme an einer längeren Besprechung zu REACH in großer Runde und mit verteilten Rollen im Bundekanzleramt zu nennen. Und schließlich sind mir die Tätigkeiten zu End of Waste in den Sevilla-Prozessen, hier bei Schrotten und bei Kunststoffen, unvergesslich. Ein Highlight war das Lobbying in großer Runde in Frankfurt gegen die gefahrenrechtliche Einstufung von Titandioxid. Gegen die chemikalienrechtliche Einstufung von Titandioxid wurde, hier mit der besonderen Unterstützung durch den bvse, erfolgreich beim EuG und in der Revision beim EuGH vorgegangen. Ebenfalls in guter Erinnerung sind mir die bvse-Tagungen meiner Fachbereiche.
Im Jahr 2010 wurdest Du als „Kunststoffrecycler des Jahres“ ausgezeichnet. Was hat diese Auszeichnung für Dich bedeutet – persönlich und beruflich?
Auszeichnungen sind rar, da war ich doch sehr positiv überrascht zum Preisträger zu werden. Insgesamt hat das Kunststoffrecycling hiervon profitiert, da Aussagen oder Anmerkungen, die man dann öffentlich vornimmt, eine bessere Wahrnehmung erfahren. Auch das „Standing“ in den Kunststoffkreisen hat sich dadurch verbessert. Leider gibt es diese Auszeichnung und das damit verbundene, freundliche Prozedere nicht mehr. M.E. wäre es an der Zeit, in einer der Tagungen zum Kunststoffrecycling persönliche Auszeichnungen, verbändeübergreifend mit einem geeigneten Zeremoniell zu vergeben. Den Mittelstandspreis für das Recycling „DIE GRÜNEN ENGEL“, die der bvse gemeinsam mit dem Aufbereitungszentrum Nürnberg anlässlich der IFAT stoffübergreifend vergibt, sind aber seit Jahren eine schöne Fortführung dieser Tradition.
Deine Arbeit verband eine Vielzahl von Themen von REACH/CLP über Lebenszyklusanalysen hin zu unterschiedlichen Abfallströmen und globalen Rohstoffmärkten. Wie gelingt es, ein so breites Spektrum zu gestalten, ohne den strategischen Fokus zu verlieren?
In der Kreislaufwirtschaft sind viele der oben genannten Themen eng vernetzt: Input Abfall, Output Sekundärrohstoff oder Produkt. Hier kann dann bspw. das Stoffrecht greifen. Und die Nachhaltigkeit dieser Prozesse vom Abfall zum Produkt, hier End of Waste, wird durch Ökobilanzierungen deutlich. Tatsächlich wird eine Gesamtschau immer dann notwendig, wenn man Tagungen oder Podiumsdiskussionen inhaltlich organisiert. Hier gilt es, die inneren Zusammenhänge zu erkennen und zu beachten, um stimmige Gesamtkonzepte zu generieren. Darüber hinaus kann man offene Punkte, Unklarheiten, Fehlstellen thematisieren und auf dem Podium diskutieren und dann Lösungen suchen - Lösungen in Theorie und deren Umsetzung in die Praxis. Diese Tätigkeiten vermitteln für jeden Stoffstrom eine Gesamtschau, die aber in der Wahrnehmung von Experte zu Experte noch deutliche Unterschiede aufweisen wird.
Was wünschst du dir für die Zukunft des Kunststoffrecyclings – abgesehen davon, dass der Einsatz von Rezyklaten endlich so selbstverständlich sein sollte, wie der tägliche Morgenkaffee?
Die gegenwärtige schwierige Situation beim Kunststoffrecycling ist zu meistern. Vorbilder für Wege aus der Krise sind die beiden Gegensätze, das PET-Recycling einerseits und das Recycling von Mischkunststoffen anderseits. Das PET-Recycling ist sowohl wegen der gesetzlichen Vorgaben erfolgreich als es auch lebensmitteltaugliche Rezyklate generiert. Das Mischkunststoffrecycling, das leider immer wieder diskriminiert wird, generiert wertbeständige Endprodukte. Endprodukte, die deutlich besser sind als deren Vorlagen aus Holz, Beton oder Stahl. Diese Produkte erfahren in Europa und international eine positive Nachfrage. Und daher ist es höchst unfair, dass Interessierte Kreise das Mischkunststoffrecycling aushebeln wollen.
Viele junge Menschen wollen heute nachhaltige Rohstoffkreisläufe gestalten. Welchen Rat gibst Du beispielsweise Deinen Studenten an der RWTH Aachen, die jetzt mit Energie und Neugier in die Kreislaufwirtschaft starten?
Alle, die an der Gestaltung der Kreislaufwirtschaft mitarbeiten wollen, haben gute Chancen auf Einstellung. Kreislaufwirtschaft ist sexy, wenn man diese mitgestalten kann. Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Erfahrungen, Ansichten und Positionen sind zu führen. Oft wird hierbei zwar kein Kompromiss möglich, aber die erfolgreiche Umsetzung der gefundenen Position in die Praxis wird immer obsiegen. Umbrüche: wir leben in einer sich sehr schnell verändernden Welt und damit verändern sich auch die stoffstromspezifischen Anforderungen an Entsorgung und Recycling sehr schnell. Diese Umbrüche sind nervig und teuer; sie offenbaren aber vielfältige Chancen.
Zum Schluss eine persönliche Frage: Von der Kreislaufwirtschaft zur Kaffeetasse – lässt sich „100 % Recyclingmodus“ einfach abschalten? Wie sehen Deine Pläne für den Unruhestand aus?
Jetzt geht es erstmal in den Urlaub und dann in den Ruhestand. Es gibt ja sehr unterschiedliche Ratschläge, was dann alles zu beachten ist. Und so gilt es auch hier, den eigenen Weg zu finden. Natürlich habe ich Pläne und Vorhaben, die zu realisieren sind. Ich freue mich darauf, den Spagat zw. Bonn und München überwinden zu können. Da gibt es, einiges nachzuholen. Mit dem Lehrstuhl von Frau Professor Greiff, ANTS, RWTH Aachen, werde ich verbunden bleiben. Vom bvse gibt es einige Einladungen für das nächste Jahr. In Maßen gelte, auch nach evtl. notwendigen Rücksprachen: „Wer nach fachlicher und sachlicher Hilfe frägt, wird sicherlich nicht abgewiesen werden.“
Als Kollege, der mit Humor, Herz und beeindruckender Fachkenntnis verlässlich zur Seite stand – und der dafür bekannt war, die Fragen zu stellen, die sonst keiner stellte, und Überzeugungen auch dann zu vertreten, wenn es unbequem wurde – hinterlässt er nicht nur in der Branche, sondern auch im bvse-Team deutliche Spuren. Lieber Thomas, wir sagen: Danke. Für Wissen, Haltung, Humor – und für die Geschichten, die nur jemand erzählen kann, der wirklich dabei war.
Das Interview führte Michaela Ziss, bvse-Pressereferentin