Neue Bain-Studie zur automobilen Kreislaufwirtschaft: Geschlossene Materialkreisläufe in der Produktion senken neben dem CO2-Fußabdruck auch Rohstoffabhängigkeit und Kosten.
Mobilität ist derzeit die Ursache für rund 30 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen.
Davon entfällt ein beträchtlicher Teil auf den Straßenverkehr. Soll die Umweltbelastung über den Lebenszyklus eines Pkw hinweg minimiert werden, bedarf es nicht nur emissionsneutraler Antriebe, sondern auch innovativer Ansätze entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Das Spektrum reicht dabei vom nachhaltigen Design neuer Modelle über geschlossene Materialkreisläufe in der Produktion bis hin zu einer besseren Auslastung vorhandener Fahrzeuge. Europäische Autobauer sind derzeit mit einer Quote von 40 Prozent weltweit führend in der Kreislaufwirtschaft, was vor allem auf strenge EU-Vorschriften zurückzuführen ist.
In ihrer Studie „Reuse, Remanufacturing, Recycling, and Robocabs: Circularity in the Automotive Industry“ analysiert die internationale Unternehmensberatung Bain & Company die zentralen Stellhebel, mit deren Hilfe die automobile Kreislaufwirtschaft weltweit vorangetrieben werden kann. Aufgezeigt wird zudem, wie sich Autobauer und Zulieferer auf die neue Ära vorbereiten können.
Bis 2040 ist nahezu komplettes Pkw-Recycling möglich
Momentan entfallen weltweit rund 10 Prozent aller genutzten Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe auf den Mobilitätssektor. Bei europäischen Automobilherstellern liegt der Anteil wiederaufbereiteter und -verwendeter Materialien in der Neuwagenfertigung bei 23 Prozent, könnte sich der aktuellen Bain-Studie zufolge aber bis 2040 auf 59 Prozent mehr als verdoppeln lassen. Allein dies würde die mit dem Materialeinsatz verbundenen CO2-Emissionen um 60 Prozent reduzieren. Zugleich ist es möglich, die Recyclingquote eines Pkw von heute knapp 80 Prozent auf 97 Prozent zu steigern – nahezu sämtliche Teile eines Fahrzeugs würden dann einer erneuten Verwendung zugeführt.
„Faktisch alle Hersteller stellen derzeit ihre Modellpalette auf alternative Antriebe um“, erklärt Björn Noack, Bain-Partner und Co-Autor der Studie. „Doch nur, wenn sie gleichzeitig geschlossene Materialkreisläufe schaffen, werden sie das ehrgeizige Ziel der Klimaneutralität tatsächlich erreichen.“
Kreislaufwirtschaft bietet auch wirtschaftliche Vorteile
Die Bain-Studie berücksichtigt auch nachgelagerte Wertschöpfungsstufen. Danach ließe sich der Anteil gebrauchter Teile bei Reparaturen in Europa bis 2040 auf 12 Prozent steigern, im Jahr 2020 waren es gerade einmal 2 Prozent. Speziell bei Batterien werden Wiederaufbereitung und -verwendung künftig zum Standard werden, um die strengen regulatorischen Auflagen zu erfüllen. Dazu bedarf es aber eines professionellen Marketings. „Je intensiver sich die Autobauer dem Kreislaufgedanken verschreiben und je offensiver sie damit an die Öffentlichkeit gehen, desto leichter wird es den Servicebetrieben fallen, ihre Kundschaft von gebrauchten Ersatzteilen zu überzeugen“, stellt Dr. Klaus Stricker, Bain-Partner und Leiter der globalen Praxisgruppe Automotive und Mobilität, fest.
Rund um den Globus ergeben sich für die Fahrzeughersteller aus der Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft gleich mehrere Vorteile. „Geschlossene Kreisläufe senken nicht nur die Umweltbelastung, sondern steigern auch die Resilienz der Lieferketten und reduzieren längerfristig die Materialkosten“, so Stricker. „Dies führt zu höheren Margen, darüber hinaus bieten sich neue Ertragschancen.“
Art der Fortbewegung verändert sich grundlegend
Auf dem Weg hin zur Klimaneutralität wird zudem ein verändertes Nutzungsverhalten eine wichtige Rolle spielen. Laut Bain-Studie wird sich voraussichtlich in den 2030er-Jahren der Einsatz von Robotaxis zunehmend rechnen. In der Folge wird der Anteil privater Fahrzeuge an den gefahrenen Kilometern weltweit von heute 67 Prozent auf dann rund 50 Prozent im Jahr 2030 sinken. 2050 sollen es sogar nur noch 40 Prozent sein. Die gesamthafte Auslastung aller Fahrzeuge würde damit deutlich steigen, der Bedarf an Neufahrzeugen zurückgehen.
„Mobilität bleibt ein essenzieller Teil unseres Lebens“, ist sich Bain-Partner Noack sicher. „Aber die Art, wie wir uns fortbewegen, wird sich grundlegend verändern. Dazu trägt vor allem der spürbare Klimawandel bei, die zunehmende Urbanisierung und ein geschärftes Bewusstsein für die Umwelt kommen hinzu.“ Und er ergänzt: „Der automobilen Kreislaufwirtschaft gehört die Zukunft. Je früher sich die Hersteller und Zulieferer darauf einstellen, desto eher können sie sich von ihren Wettbewerbern abheben.“
Bereichsübergreifende Kooperationen sind unverzichtbar
Bei Vorreiterunternehmen stehen drei Maßnahmen im Fokus. Zum einen überprüfen sie systematisch ihre gesamte Wertschöpfungskette, um die Chancen für geschlossene Kreisläufe konsequent nutzen zu können. Zum anderen geht es darum, Trends frühzeitig zu erkennen und auf Basis von Zukunftsszenarien schon heute die Weichen für die Märkte von morgen zu stellen. Und schließlich engagieren sie sich in Ökosystemen und beginnen gemeinsam mit Partnern mit dem Aufbau geschlossener Kreisläufe. Im Rahmen der Global Battery Alliance beispielsweise arbeiten mittlerweile mehr als 120 Unternehmen und Institutionen daran, eine nachhaltige Wertschöpfungskette für Batterien zu etablieren.
Gerade bereichsübergreifenden Kooperationen kommt große Bedeutung zu. „Die automobile Kreislaufwirtschaft setzt voraus, dass Hersteller, Lieferanten und Branchenfremde weitreichend und vertrauensvoll zusammenarbeiten“, betont Branchenexperte Noack. „Diejenigen Autobauer, die dies erkennen, sondieren ganz genau, auf welchen Gebieten ihre Alleinstellung ihnen einen Vorsprung verschafft und wo Kooperationen für sie von besonderem Vorteil sind. Auf diese Weise sind sie bestens für den künftigen Wettbewerb gerüstet.“
>>> Zur Studie: „Reuse, Remanufacturing, Recycling, and Robocabs: Circularity in the Automotive Industry"
Quelle: www.bain.com