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Gilt bundesweit als Leuchtturmprojekt, an dem die gesamte Baubranche lernt und Erfahrungen sammelt: Der geplante Neubau des Esslinger Landratsamtes, der möglichst kreislauffähig errichtet wird. FOTO: BFK architekten

Esslinger Kreistag baut für 130 Millionen Euro kreislauffähig – Bestandsbau wird sortenrein demontiert und recycelt

Mit seinem einstimmigen Beschluss zum Rückbau des 1978 bezogenen Landratsamtes und einem kreislaufgerechten Neubau bis 2026 hat der Esslinger Kreistag bundesweit Maßstäbe gesetzt. Anfang Mai begann die Demontage des Altbaus. Insgesamt investiert der Landkreis 130 Millionen Euro in die 675 modernen Arbeitsplätze.

Den Zuschlag als Generalunternehmen bekam die Ed. Züblin AG in Stuttgart. Der renommierte Bauschuttrecycler Feess aus Kirchheim/Teck demontiert aktuell mit 30 Mitarbeitern das sechsstöckige Gebäude. Ab Oktober wird der Rohbau mit 31.500 Tonnen Beton und 455 Tonnen Ziegeln abgebrochen. Das Gros der mineralischen Baustoffe – täglich bis zu 1800 Tonnen - wird dann direkt auf der Baustelle und auf den Feess-eigenen Wertstoffhöfen in Kirchheim und im Neckarhafen gebrochen, gesiebt und als Zuschlagstoff für ressourcenschonenden R-Beton wiederaufbereitet und zu den nächsten Betonwerken gebracht.

Das Glas von Fenstern und Innenwänden, Aluminium von Fenstern und Fassaden, Kunststoff, Bewehrungsstahl, Kupferkabel sowie ausgebautes Holz gehen je im Umkreis von maximal 15 Kilometern an weiterverarbeitende Betriebe, die die teils gigantischen Mengen recyceln. Mineralwolle, Dachpappe aus Bitumengemisch sowie Gipsdielen und -kartons in enormen Tonnagen gehen bis zu 200 Kilometer weit an Fachbetriebe, die ihrerseits möglichst viel Material aufbereiten und weiterverwerten. Schließlich werden 921 Tonnen Baumischabfälle deponiert. Somit werden mehr als 90 Prozent des Rückbaumaterials wiederverwertet.

Die Mitarbeiter der Verwaltung haben teils bereits im März Interimsbüros an mehreren Standorten bezogen, in denen sie bis Anfang 2026 bleiben. Diese Mieten belaufen sich bis dahin auf insgesamt 8,5 Millionen Euro. Der Neubau mit 33.000 Quadratmeter Netto-Raumfläche wird im Wesentlichen aus R-Beton gegossen. Weitere Komponenten sind Alu-Elementfassaden und Flachglas. Die C2C-zertifizierten Büro-Systemtrennwände bestehen aus Alu und Glas und machen jedes Geschoss komplett frei gestaltbar. So können über die Jahrzehnte Bereiche immer wieder umgewidmet, erweitert und angepasst werden.

Weitere Baugruppen sind Gipskartonwände und -decken, Heiz-Kühl-Deckensegel, Faserplatten- und Metalldecken, Estriche und Nass-Hohlraumböden, Natursteinbeläge aus Norwegen, der Schweiz und der EU sowie FSC-/PEFC-zertifizierte Holzbeläge. Ab Frühjahr 2026 kommen hier elf Ämter, die Kfz-Zulassungsstelle, die beiden Sitzungssäle sowie eine Kindertagesstätte und die Kantine unter. Im Süden grenzt das KfW-Effizienzhaus im Standard 40 an den Neckar.

Der Fluss wird eine Wärmepumpe speisen, in die Fassade wird eine PV-Anlage mit 75 kWp Leistung integriert und auf dem Dach eine zweite Anlage mit 375 kWp installiert, die den Neubau und e-Ladestationen für Pkw und Pedelecs mit Eigenstrom versorgen. Fernwärme für Warmwasser in der Küche und den Duschen sowie Lüftungsgeräte mit integrierter Kälte runden die Haustechnik ab. Geplant haben den Neubau die Stuttgarter BFK Architekten, die jüngst auch die Erweiterung des Göppinger Landratsamtes gestaltet hatten.

Federführend hat Ulrich Schweig, Experte für Nachhaltiges Bauen bei Züblin, das Konzept erstellt: „Alle Projekte zum kreislaufgerechten Bauen haben bei uns derzeit noch Pilotcharakter.“ 2008 hat Züblin diese Abteilung gegründet, die eng mit der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) zusammenarbeitet. Noch sei es mühsam, Partner mit C2C-zertifizierten Produkten für Fassaden, Innenwände oder Ausbaumaterialien zu finden und zu beauftragen.

Mit Feess hat Schweig für die Demontage des Altbaus eine Materialstrombilanz erstellt. Für den Neubau ist ein Material-Kataster geplant, das dokumentiert, von welchem Material wo wie viel verbaut ist. Der Neubau, so Landrat Heinz Eininger, sei auch notwendig geworden, weil seine Behörde binnen zehn Jahren um 430 auf aktuell 2300 Stellen gewachsen ist. Gründe sind immer neue Aufgaben, die der Gesetzgeber verlangt. Der Neubau, ergab eine Studie von Drees & Sommer, ist über einen Lebenszyklus von 50 Jahren ein Prozent günstiger als das zu klein gewordene Bestandsgebäude mit seinen massiven baulichen, technischen und funktionalen Mängeln zu sanieren.

Wissenschaft begleitet Esslinger Bauprojekt

Gleich zwei Hochschulen forschen auf Initiative von Bauschuttrecycler Feess an dem Esslinger Leuchtturmprojekt: Am Lehrstuhl von Prof. Florian Schäfer für Bauprojektmanagement in Biberach erheben sieben Master-Studierende in Kooperation mit der Firma Feess, wie man Abbruchmengen möglichst präzise im Vorfeld an Hand von Plänen und einer Visitation erhebt. Von der Methodik, die zu verfeinern ist, erhoffen sich die Kirchheimer wertvolle Impulse für die künftige Kalkulation.

Und an der RWTH Aachen untersucht eine Doktorandin, die bei Feess schon länger einen geeigneten Auftrag angefragt hatte, die Gesamt-Ökobilanz eines solches Recyclingprozesses. Da hinein fließen auch die Diesel-Verbräuche von Baggern, Lkw und Brechern entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Somit bringt die Esslinger Ausschreibung auch die Wissenschaft und die Baubranche signifikant voran, um die gesetzliche Vorgabe einer kreislauffähigen Bau- und Volkswirtschaft möglichst zeitnah zu erfüllen. 




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